Samstag, 6. August 2011
3.000 Euro oder die Frage "Was ist gerecht?"
Der Kindermörder Magnus Gäfgen hat sich eine Entschädigung von 3.000 Euro erstritten, weil ihm während des Verhörs von den Polizisten physische Gewalt angedroht wurde, wenn er nicht den Aufenthaltsort des von ihm ermordeten Jungen verrät.
Dies sind die nüchternen Fakten. Doch daraus entsteht nun deutschlandweit eine Welle der Empörung. Wie kann es schließlich sein, dass ein Mann, der einen kleinen Jungen entführt und tötet dafür auch noch 3.000 Euro bekommt? In diesem Land kann doch etwas nicht stimmen!
Ich sage: Doch, gerade weil Magnus Gäfgen die 3.000 Euro zugesprochen bekommen hat, stimmt es in diesem Land! Nicht, weil ich es in irgendeiner Weise gutheiße, was er getan hat. Sondern weil es beweist, dass unser Rechtsstaat funktioniert, der sich nunmal gewissen Regeln und Gesetzen zu unterwerfen hat. Dass diese Regeln und Gesetze nicht immer dem entsprechen, was wir als "gerecht" empfinden ist ein Fakt, den wir hinnehmen müssen, wenn wir ein transparentes und verlässliches Rechtssystem unser eigen nennen wollen.
Das klingt jetzt alles schön und gut, aber was soll das bedeuten?
Zum Einen bedeutet es, dass jeder Mensch in Deutschland dieselben Rechte hat! Auch ein des Mordes verdächtigter oder überführter Mann! Auch er hat das Recht, dass seine Würde unangetastet bleibt, "mag er sich auch in noch so schwerer und unerträglicher Weise gegen die Werteordnung der Verfassung vergangen haben", wie die Richter in Ihrer Urteilsbegründung ausgeführt haben. Dies ist das Prinzip eines demokratischen Rechtsstaates, so sehr es in verschiedenen Einzelfällen auch unserem Verständnis von Gerechtigkeit widersprechen mag.
Eine nachvollziehbare Überlegung wäre jetzt natürlich der Ruf nach einer Anpassung der Verfassung, nach dem Motto „Die Würde des Menschen ist unantastbar, außer bei einem grausamen Mord“ (laienhaft ausgedrückt). Dann hören wir von einem Fall von schwerer Körperverletzung, die Verfassung wird wieder angepasst, ein schwerer Raub mit einem unglaublichen kulturellen und materiellen Schaden, wieder eine Anpassung… Die Frage ist, wo ziehen wir eine letztendliche Linie und wer ist in der Lage, diese Linie (die wir durch unseren Rechtsstaat im Moment eindeutig haben) festzulegen?
Des Weiteren muss beachtet werden, dass das Gericht Magnus Gäfgens Forderung gar nicht nachgekommen ist! Ursprünglich forderte dieser nämlich 10.000 Euro Schmerzensgeld, da er angeblich psychische Folgen der Gewaltandrohung erlitten hatte, was aber durch einen Gutachter nicht bestätigt wurde. Die 3.000 Euro sind vielmehr das Resultat eines anderen Gerichtsurteils von 2004, welches die Folterandrohung an sich „als Fehlverhalten staatlicher Stellen“ klarstellte und sind dementsprechend lediglich eine darauf basierende Entschädigung. Hinzu kommt, dass Gäfgen von diesen 3.000 Euro letztenendes gar nichts hat, da diese auf die von ihm verursachten Gerichtskosten von 71.000 Euro angerechnet werden.
Einen interessanten Kommentar findet man dazu auch hier: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-08/gaefgen-urteil-rechtsstaat
Und hier noch ein Kommentar über das Dilemma Rechtsstaat und Gerechtigkeit: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-08/gaefgen-urteil-entschaedigung
Ich werde mit meinem Kommentar sicherlich niemanden großartig in seiner Meinung ändern können, aber ich hoffe, ich habe verständlich gemacht, warum das Urteil so ausfallen musste, auch wenn es dem persönlichen Empfinden (auch meinem wohlgemerkt) diametral entgegengesetzt ist.

P.S.: Zum Vergleich, was gibt uns das Recht, uns über die „Enhanced Interrogation Techniques“ der Amerikaner zu empören, aber gleichzeitig dieselben Methoden in diesem Fall für gerechtfertigt zu erklären?

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